Historisches Fechten

Paul Becker

Herr Becker, Sie gelten in Europa als einer der Experten für historische Fechtkünste. Wie kam es dazu?

Paul Becker: Vielen Dank. Ich selbst sehe mich da nicht auf einem so hohen Ross. Ich hatte bereits als Kind ein sehr großes Interesse an Schwertern und Rittern. Bereits mit 13 Jahren war ich Teil einer Reenactmentgruppe und fing an Schwertkampf zu trainieren. Mit 16 Jahren bekam ich zu Weihnachten ein Buch zum Fechten mit dem Langen Schwert und begann, in unserer damaligen Gruppe ein Training aufzubauen. Als ich mit 18 schließlich als Offizier zur Bundeswehr ging, erlernte ich als Ausbilder, Lehrer, Sportausbilder und Ausbilder für Ausbilder und Lehrer viele Kompetenzen, die mir halfen, das Training zielführender und hochwertiger zu gestalten, indem ich ein eigenes lernzielorientiertes Curriculum nach modernen sportwissenschaftlichen und pädagogischen Grundsätzen erarbeitete. Von 2007 bis 2011 studierte ich an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter, was mir die notwendigen Fertigkeiten gab, um mich mit den historischen Fechthandschriften auseinanderzusetzen und so die entsprechenden historischen Fechtinhalte zu erarbeiten. Ich denke der Mix aus meinen vielfältigen Berufsfeldern in militärischen, sportlichen und historischen Arbeitsweisen ist sehr gewinnbringend. 

Nachdem ich bereits seit 2007 selbst Historisches Fechten unterrichtete, gründete ich im Februar 2016 offiziell meine Schule «IN MOTU Historische Fechtkünste». Im Jahr 2021 bekam ich zusätzlich die Chance am Lehrstuhl meines Professors an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu arbeiten und zu promovieren. Natürlich habe ich auch hier das Themenfeld Fechtgeschichte gewählt, so dass ich zusätzlich aktuell über den Fechtmeister Paulus Kal, sein Umfeld und seine Handschriften im 15. Jahrhundert arbeite. Auch meine Lehrveranstaltungen an der Universität drehen sich dementsprechend oft um diesen historischen Kontext sowie die neue Arbeitsweise der «Praktischen Interpretation» von Fechttechniken aus historischen Quellen.

Was genau ist gemeint, wenn von historischen Fechtkünsten die Rede ist? Um welche Waffen, Kämpfe oder gar Philosophien geht es?

Historisches Fechten als Eigenname dieser Szene bezieht sich auf all jene Fechtweisen, die vor der modernen olympischen Sportart angewandt wurden und umfasst daher ein weites historisches Feld. Vorwiegend wird dabei ein Unterricht/Training auf Basis erhaltener Schrift- und Bildquellen sowie erhaltener Originalausrüstung organisiert. Je nachdem, welcher Epoche und Fechtweise man sich widmet, ist der Kontext sehr unterschiedlich. Die Waffen reichen vom 14./15. Jahrhundert mit dem zweihändig geführten Langen Schwert, (Einhand-)Schwert und Buckler (kleiner Faustschild), Messer, Dussack und Rapier über die frühe Neuzeit mit den diversen regionalen Stilen des Rapier und Degen, bis hin zur Neuzeit mit der schwerpunktmäßigen Teilung in Hiebfechten und Stoßfechten mit Degen und Säbel und vielem mehr. Historisches Fechten ist vielfältig.

Bis in das frühe 20. Jahrhundert wird von der «Ritterlichen Kunst des Fechtens» gesprochen. Sie umfasst jene Künste des Zweikampfs/Duells, welche ein Ritter, Adliger, Gentlemen aufgrund seiner Position beherrschen sollte. Einerseits hatte die fechterische Ausbildung spätestens seit dem Mittelalter das Ziel, den Körper fit und gesund zu halten sowie den Geist zu schulen, also Kompetenzen wie Entscheidungsfreude, Entschlossenheit, Geduld und vieles mehr zu fördern. Auch ein fechterisches Ethos zieht sich seit dem Mittelalter durch die Fechtkunst und orientiert sich an ritterlich-christlichen Werten.

Praktisch gesehen, sollte man in der Lage sein, seine Ehre und Position nach den geltenden Regeln und Werten im Zweikampf zu verteidigen. Je nach Epoche und Region unterscheiden sich dann lediglich die Regeln und Rahmenbedingungen der Duelle.

«Die Philosophie der Kunst ist jedoch nicht das «Töten», sondern ein fairer Zweikampf, der es beiden Kontrahenten ermöglicht, einen Konflikt unter Wahrung ihres «Gesichts» zu lösen, so dass beide anschließend wieder Teil der Gesellschaft sein können.»

Duelle enden daher meist durch Aufgabe oder festgelegte Verwundungen. Oft wird bis zum ersten Blut gefochten. Man sollte bei alle dem nicht vergessen, dass bereits seit dem Mittelalter das Fechten aber vorwiegend als «Sport», damals unter den Begriffen Kurzweil, Schimpf, Spiel ausgeübt wurde und die meisten Fechter vermutlich keinen Ernstkampf machen mussten, sondern vorwiegend im Fechtsaal oder bei öffentlichen Wettkämpfen fochten.

Es wird oft darüber diskutiert, ob ein Degen auch ein Schwert oder gar ein Säbel ist und woher das Florett eigentlich kommt. Können Sie uns über die Geschichte oder die Terminologie der verschiedenen Waffen aufklären?

Ich werde zur Vereinfachung alles erstmal unter dem Oberbegriff «Schwert» fassen. Die Einteilung und Benennung der Schwertarten in Degen, Säbel und Florett stammt aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. In Form von tegen und sebel lassen sich diese Begriffe für Einhandwaffen bis in das Mittelalter zurückverfolgen.

Der Degen bezeichnete damals einen symmetrischen Dolch, also eine viel kürzere und auf den Stoß ausgelegte symmetrische Waffe. Mit Bezug zum (Duell-)Fechten meint Degen spätestens im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine stoßlastige symmetrische Schwertform. In Frankreich nannte man symmetrische Klingen einfach immer Epeé, also Schwert, und die Übungswaffen für das Epeé wurden als Fleurét bezeichnet, im Englischen als Foil und im Italienischen als Spada. In deutschen zeitgenössischen Wörterbüchern wird daher Fleurét mit Fechtdegen übersetzt. Der Säbel war eine hieblastige Schwertform mit gekrümmter Klinge und dreieckigem Querschnitt und war im Bereich der Klingenschwäche (sogenannte Feder) zweischneidig.

Auch im Verlauf des 19. Jahrhunderts waren die Duellregeln regional und zeitlich sehr unterschiedlich. In Frankreich wurden zum Beispiel Duelle vorwiegend mit dem Degen ausgefochten in Österreich und Deutschland ab ca. 1830 hingegen mit dem Säbel. In Frankreich gab auch die «Unsitte», Duelle mit angespitzten Fleuréts zu fechten. Der Ursprung der Begriffe ist in diesem Zusammenhang auf die Region, die Zeit und den Duellkodex zurückzuführen.

Sie selbst sind Herr über das Schwert und unterrichten Schwertfechten. Das Schwert – man denkt sofort an verschiedene Sagen und Geschichten, zum Beispiel an die Verfilmung von King Arthur. Kann man sich ein Schwerttraining bei Ihnen so vorstellen, oder ist das einfach «Made in Hollywood»?

Ich gestalte meinen Fechtunterricht vielfältig und erlebnisreich. Das Fechten in Film und Theater also Bühnenfechten, wenn man es so nennen will, hat natürlich eine ganz andere Zielstellung. Wenngleich ich daher keine Bilder wie in Hollywoodfilmen bieten kann, erfahren meine Schüler etwas viel Spannenderes. Sie können die Spannung eines tatsächlichen Übungs- oder Wettkampfes erfahren. Und dann das Erfolgserlebnis zu haben, dass ein bestimmtes technisches Element oder eine Taktik im Gefecht funktioniert, kann kein Hollywood-Film ausgleichen. Ich mache auch in meinem Kinderprogramm EXKALIBUR KIDS immer wieder Verweise auf Geschichten und Sagen und versuche sie hier zu begeistern. Robin Hood, Zorro, die Musketiere und die Ritter der Tafelrunde sind vielen Kindern einfach nicht mehr bekannt. Im Historischen Fechten ist der Bezug dazu direkt herstellbar – wenn man etwa wie Zorro mit einem spanischen Glockenrapier oder wie die Ritter der Tafelrunde mit einem Schwert ficht.

Von Wikinger-Vereinen über mittelalterliche Gruppen bis hin zu grossen internationalen Veranstaltungen mit Shows – die historischen Kampfkünste scheinen im Aufwind zu sein. Beobachten auch Sie diese Entwicklung?

Ja, auf jeden Fall. Die Zahl der Fechter im Historischen Fechten nimmt gerade in den letzten zwei Jahren wieder deutlich zu und das Potenzial ist noch viel größer.

«Wenn man die Chance nicht verpasst, kann hier eine wahre Renaissance der Fechtkunst bzw. des Fechtsports beginnen, sofern man bereit ist, sich neuen Ideen und Konzepten zu öffnen und Kompromisse zu finden. Ich hoffe, dass wir alle zusammen diese Chance ergreifen.»

Welche Menschen kommen zu Ihnen, um das Schwertfechten zu erlernen? Welche Motivation führt sie zu Ihnen: Nostalgie, Geschichte, Neugier, beruflicher Hintergrund?

Schüler suchen sich stets passende Lehrer. Unterschiedliche Lehrertypen haben daher unterschiedliche Schüler. Tatsächlich ist die Gruppe bei mir sehr heterogen. Vom Schichtarbeiter bis zum Akademiker ist die berufliche Bandbreite sehr groß. Vom Geschichtsbegeisterten bis hin zur Wettkampforientierung sind die Ziele auch sehr unterschiedlich. In meine Schnupperkurse kommen auch viele Leute, die sich einfach gar nichts darunter vorstellen können und es einfach mal ausprobieren wollen.

«Aber eines eint meine Schüler sehr. Im Grundsatz sind es Personen, welche sich eine strukturierte Fechtausbildung wünschen und dies auch immer wieder als Feedback betonen.»

Es sind wahrscheinlich viel mehr Männer unter ihnen, oder? So ein Schwert ist sehr schwer und lang…

Leider ist der Damenanteil noch immer sehr gering. In unserer Szene wird immer versucht, Frauen für diesen Sport zu begeistern, indem zum Beispiel auch entsprechende Frauenveranstaltungen angeboten werden. Bei mir sind die Schwerter nicht schwer. Übungswaffen für das Einhandschwert beginnen bei 300 g und können je nach Modell bis zu 900 g wiegen. Zweihändig geführte Übungsschwerter sogenannte «Lange Schwerter» aus Kunststoff beginnen auch bei 500 g und das gewünschte Maximalgewicht ist unter 1400 g – ich arbeite an leichteren Wettkampfwaffen. Anfänger sollten ja immer die Möglichkeit haben, schon aus Sicht der Trainingslehre, mit leichten Geräten zu beginnen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich auch mehr Frauen für das Historische Fechten begeistern würden.

Olympische Disziplinen wie Degen, Säbel oder Florett werden auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene wettkampfmässig betrieben. Wie sieht es im historischen Fechten aus, gibt es Turniere, Kategorien, Ranglisten, Modi, Kampfrichter, Regeln?

Ja, definitiv. Es gibt inzwischen in den meisten europäischen Ländern die Möglichkeit, an lokalen, nationalen oder internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Wenngleich die Strukturen im Historischen Fechten noch nicht so stark ausgeprägt sind, ist es in vielen Ländern bereits möglich regionale oder nationale Meisterschaften in verschiedenen Waffengattungen in Ligen, Ranglisten oder Turniersystemen zu gewinnen. Sicherlich gibt es in verschiedenen Bereichen noch viel zu tun, aber der Anfang ist gemacht. Dabei gibt es unterschiedliche Regelwerke, wobei sich vorwiegend die Trefferreglements unterscheiden. Ich selbst benutze z.B. als Vorlage ein historisches Trefferreglement aus dem 19. Jahrhundert aus der italienischen Schule.

«Die aktuell geläufigsten Waffenkategorien sind das Lange Schwert, das Rapier, das Spada/Schwert und schließlich der Säbel. Eine große Herausforderung ist tatsächlich die Ausbildung und Begeisterung für die Tätigkeit als Kampfrichter. Aber auch hier wird sich zunehmend viel Mühe gegeben.»

«IN MOTU» – so heisst Ihr Unternehmen/Ihre Marke in Nordhausen und Erfurt und ihr Online-Shop. Was bedeutet dieser Name?

«IN MOTU» ist Latein und bedeutet «in Bewegung». Im vermutlich ältesten Fechtbuch in deutscher Sprache von ca. 1400 heißt es:
«Motus das Wort schone, ist des Fechtens Hort und Krone…» sowie «Denn das ist die Grundlage des Fechtens, dass ein Mann immer weiter in motu (Bewegung) ist und nicht ruht.»

Ich finde diesen historischen Fechtbegriff sehr passend für einen Ort, an dem ich Menschen zu einem sportlichen Hobby bewegen will und sie im Unterricht/Training natürlich auch Bewegungen lernen und trainieren.

Sie haben zusammen mit Uhlmann eine hochwertige Fechtausrüstung für den Schwertkampf entwickelt. Die muss robuster sein als die, die bei den olympischen Disziplinen zum Einsatz kommt, richtig? Inwiefern unterscheiden sie sich?

Ja, etwas. Grundsätzlich hängen die wirkenden Kräfte ja von vielen Faktoren ab: dem Gewicht und der Flexibilität der Waffe und vor allem von der Ausbildung der Fechter, also ob diese z.B. einen abfedernden Hieb führen können oder nicht. Das von mir ausgedachte Konzept der Jacke soll mit modernen Materialien eine bestmögliche Mobilität des Fechters unter dem gleichzeitig notwendigen Schutz bieten. Grundsätzlich verwenden wir die 800N-Stoffe von Uhlmann sowie von mir getestete Polstermaterialien, die entsprechend den Tragekomfort der Jacke deutlich verbessern, d.h. Stöße deutlich dämpfen. Gerade im Bereich der Schultern war dies notwendig. Bis auf die Unterarme ist die Jacke komplett mit einem atmungsaktiven 3d-Mesh-Polster gefüttert. Dieses ist jedoch so leicht, dass die Jacke nur unwesentlich schwerer ist und die Luftzirkulation gefördert wird. Der Schnitt der Jacke wurde im Vergleich zur Olympischen Jacke angepasst. Vor allem der Arm-/Schulterbereich wurde verändert, um hier eine größere Beweglichkeit zu erreichen, ohne dass die Jacke beim Anheben der Arme mit hochgezogen wird. Armbeweglichkeit und Polsterung sind also die großen Unterschiede.

Herr Becker, welche neuen Projekte sind demnächst geplant, was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Die Liste der Projekte ist lang und erstreckt sich über mehrere Jahre. Einen Schwerpunkt bildet 2025 die Arbeit an meiner Dissertation. Fechterisch möchte ich wieder zunehmend auf Wettkämpfe gehen, da ich letztes Jahr dort wieder ein tolles Erfolgserlebnis hatte (Säbelturnier, ohne Niederlage bis ins Viertelfinale (inkl. Poule-Phase), am Ende 4. Platz). Ich plane zudem die von mir und einem Fechtlehrerkollegen angebotenen Ausbildung zum Trainer im Historischen Fechten erneut anzubieten. Mit anderen Kollegen arbeite ich an einer Säbelliga nach historischem Trefferreglement und ich möchte weiter an neuer geprüfter Schutzausrüstung und leichten und sicheren Übungswaffen für unseren tollen Sport arbeiten.

«Für die Zukunft wünsche ich mir vor allem, dass wir unseren Sport in einem friedlichen, sicheren und werteorientierten Europa leben können, in dem auch wir als Sportlerinnen und Sportler mit gutem Beispiel vorangehen und Werte wie Gleichheit, Respekt, Fairness und Vielfalt repräsentieren.»

Gerade der Sport zeigt, dass man sich unter Freunden fair messen und gegenseitig zu Höchstleistungen anspornen kann. Und letztlich natürlich auch, dass Historisches Fechten und Olympisches Fechten in der großen Kunst des Fechtens eine dauerhafte und prosperierende Partnerschaft haben.

Für weitere Informationen:
Paul Becker
M.A. Hauptmann der Reserve
E : info@in-motu.de
Website : https://www.in-motu.de, https://www.inmotu-shop.com/
Youtube: https://www.youtube.com/@paul-becker

Nach oben scrollen
Diese Seite verwendet Cookies, um Daten zu speichern.